Interview mit Nora Sophie Griefahn -C2C-NGO

Interview mit Nora Sophie Griefahn -C2C-NGO

„Wir müssen Gebäude als Materiallager verstehen…“

Der Nachhaltigkeitsgedanke und die Kreislauffähigkeit von sind ganz wesentliche Punkte, die für das Bauen mit Holz sprechen. Doch es geht um mehr. In einem Gespräch mit der „C2C“-Expertin und Umweltwissenschaftlerin und geschäftsführende Vorständin der von ihr mitgegründeten „Cradle to Cradle NGO“ Nora Sophie Griefahn, haben wir die Themen „C2C“ und Holzbau näher beleuchtet.

Robert Schütz: Zunächst die Frage: Was genau ist „Cradle to Cradle“?

Nora Sophie Griefahn: Cradle to Cradle (C2C) ist ein Konzept für eine echte Kreislaufwirtschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir Menschen uns als potenzielle Nützlinge begreifen, die in der Lage sind, mit ihrem Handeln positive Auswirkungen zu erzielen – ökologisch, ökonomisch und sozial. Darin unterscheidet sich C2C von anderen Konzepten und klassischen Nachhaltigkeitsstrategien: Wir können es uns nicht länger leisten, durch Reduktion, Verzicht und reine Effizienz nur etwas weniger schädlich zu handeln. Wirklich positive Ziele erreichen wir nur mit Produkten, die für ihr jeweiliges Nutzungsszenario geeignet sind. Wenn ein Material bei der Nutzung abgerieben oder abgenutzt wird und Teile davon in die Umwelt gelangen, dann muss das Material vollständig biologisch abbaubar sein. Wenn keine Bestandteile in die Umwelt gelangen, dann muss ein Produkt oder Material so beschaffen sein, dass es endlos in technischen Kreisläufen zirkulieren kann, also immer wieder ohne Qualitätsverlust sortenrein recycelt oder direkt wiederverwendet werden kann. Essenziell ist, dass wir alle Produkte bereits für diese Art von Kreislaufführung in der Technosphäre und Biosphäre designen und dabei ausschließlich Materialien einsetzen, die in ihrem jeweiligen Nutzungsszenario gesund für Mensch und Umwelt sind. Die Produktion sollte mit erneuerbaren Energien aus kreislauffähigen Anlagen erfolgen. Dabei sollte die Qualität von Wasser, Luft und Boden mindestens geschützt, im Idealfall verbessert, werden.

Ist das heute überhaupt schon realistisch?

Es gibt zahlreiche Unternehmen aus den verschiedensten Branchen, die ihre Produkte und Prozesse bereits erfolgreich nach C2C designen und produzieren und das Konzept damit umsetzen. Dazu gehören zirkuläre Geschäftsmodelle wie Product-as-a-Service oder die Nutzung des Nießbrauchrechts, die dazu beitragen, Materialien im Kreislauf zu führen und Stoffströme zu schließen. Allerdings arbeiten diese Unternehmen heute noch unter Rahmenbedingungen, die für eine lineare Wirtschaft gemacht wurden. Wenn wir das politische Ziel einer Kreislaufwirtschaft erreichen wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen schnell anpassen.

Welche Ziele verfolgt C2C NGO in diesem Zusammenhang?

Wir klären als gemeinnützige Organisation seit mehr als 10 Jahren mit unserer Bildungsarbeit unterschiedliche Zielgruppen über C2C als Konzept auf. Mit Veranstaltungen wie dem Internationalen C2C Congress, der am 13. und 14. März 2025 wieder an der TU Berlin stattfindet, oder unseren Netzwerken für Unternehmen sowie kommunalen Akteuren bieten wir zudem Plattformen, um C2C-Pionieren miteinander, aber auch mit der Politik und der Wissenschaft zu vernetzen. Als dritte Säule zeigen wir durch Transformationsprojekte wie der Sanierung des C2C LAB oder dem Labor Tempelhof, wie C2C heute schon umgesetzt werden kann und welche Hindernisse es dabei noch gibt.

Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich durch Cradle to Cradle für die Bauwirtschaft, speziell für die Holzbauindustrie?

Die Bauwirtschaft hat einen enormen Ressourcenverbrauch und erzeugt den Großteil unseres heutigen Abfallaufkommens. Das bedeutet auch, dass wir durch die Transformation dieser Branche einen riesigen Hebel haben. Wir müssen Gebäude als Materiallager verstehen, in denen wir Ressourcen so verbauen, dass wir sie wieder rückstandslos entnehmen und immer wieder einsetzen können. C2C-inspirierte Neubauten oder Sanierungen bestehen aus materialgesunden und kreislauffähigen Baustoffen und bieten sowohl den Bauherren als auch den Menschen, die darin leben oder arbeiten, einen Mehrwert, der über die reine Funktion als Wohn- oder Arbeitsgebäude hinausgeht.

Macht das finanziell betrachtet noch Sinn?

Ein schönes Beispiel, dass sich Investitionen in ein zukunftsfähiges Bauwerk finanziell lohnen, ist das Rathaus der niederländischen Stadt Venlo. Das Gebäude war im ersten Jahr Cashflow-positiv und im Laufe einer Nutzungsdauer von 40 Jahren rechnet Venlo mit Einsparungen von rund 17 Mio. Euro durch Maßnahmen wie den Einsatz gesunder und kreislauffähiger C2C-Baustoffe oder Rückkaufvereinbarungen für C2C-Möbel, durch die der Restwert des Gebäudes um rund 18% höher liegen wird als bei einem konventionellen Gebäude.

Wie können wir das Potential durch C2C am besten nutzen?

Hierfür müssen wir zunächst wissen, welche Materialien wie in einem Gebäude verbaut sind und wie sie wieder rückgebaut werden können – in Quantität und Qualität. Instrumente wie digitale Zwillinge und ein digitaler Gebäuderessourcenpass können dazu beitragen und der Baubranche darüber hinaus noch ganz neue Finanzierungsmodelle ermöglichen.

Ist jedes Gebäude in Holzbauweise automatisch ein C2C-Gebäude?

Nein, denn es kommt zum einen darauf an, wie das Holz verarbeitet und eingesetzt wird und zum anderen darauf, welche sonstigen Materialien verwendet werden. Wenn ich ein Gebäude in Holzbauweise mit schadstoffhaltigen Materialien dämme oder Spanplatten einsetze, die mit herkömmlichen Leimen verklebt sind, ist das Unsinn und widerspricht C2C.

Wie müssten diese C2C-fähigen Holzbaustoffe beschaffen sein?

Grundsätzlich ist unbehandeltes, mit materialgesunden Ölen oder biologisch abbaubaren Farben behandeltes Holz aus regenerativem Anbau als nachwachsender Rohstoff und Kohlenstoffsenke ein sehr guter Baustoff für ein C2C-inspiriertes Gebäude. Gesund eingesetztes Holz sorgt auch in Innenräumen für ein besseres Raumklima und trägt zum Wohlbefinden bei. Aber auch dieser Rohstoff steht uns nicht unendlich zur Verfügung. Es gibt Regionen, in denen schlicht nicht ausreichend Holz auf regenerative Weise angebaut werden kann und lange Transportwege wirken sich negativ auf die Umweltbilanz aus. Jedes Material, das in seinem Nutzungsszenario gesund und kreislauffähig ist, kann aus C2C-Sicht geeignet sein, egal ob es natürlichen oder synthetischen Ursprungs ist.

Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Holzbauinitiative der Bundesregierung ein?

Wir müssen den Einsatz geeigneter Baustoffe auf politischer Ebene noch viel stärker steuern. Die Holzbauinitiative versucht das und geht mit Verweisen auf die positiven Eigenschaften von Holz und die Möglichkeit der Kaskadennutzung sowie ihrem Fokus auf die Förderung von F&E in diesem Bereich in eine gute Richtung. Aber sie greift zu kurz, denn es wäre sinnvoller, eindeutige Qualitätskriterien für Baustoffe für kreislaufwirtschaftstaugliche Gebäude gesetzlich vorzugeben – unabhängig davon, ob dieser Baustoff Holz ist oder ein anderes kreislauffähiges Materia

Es gibt bereits einige Gebäude, die sich C2C auf die Fahne schreiben – zurecht?

Projekte wie in Venlo, das Moringa-Gebäude in Hamburg, das Verwaltungsgebäude der RAG Stiftung in Essen, das Feuerwehrhaus der süddeutschen Gemeinde Straubenhardt oder The Cradle in Düsseldorf sind nur einige Beispiele von Gebäuden, die mehrere C2C-Elemente enthalten. Viele Baustoffe sind auch durch Products Innovation Institute (PII) in den USA nach C2C-Kriterien zertifiziert. Ganze Gebäude zertifiziert das PII nicht, aber wenn Bauherren nachweislich C2C-Baustoffe verwenden und weitere der genannten C2C-Elemente umsetzen, dann ist es aus unserer Sicht auch legitim zu sagen, dass diese Gebäude C2C-inspiriert sind oder nach C2C geplant und gebaut wurden.

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Zur Person Nora Sophi Griefahn:

Die Umweltwissenschaftlerin Nora Sophie Griefahn treibt seit zehn Jahren als C2C-Expertin ein Umdenken in Wissenschaft, Politik, Bildung und Gesellschaft voran, das mehr als Klimaneutralität zum Ziel hat. Sie ist geschäftsführende Vorständin der 2012 von ihr mitgegründeten Cradle to Cradle NGO.